Migration

Mehr Macht für Frontex - kein Plus bei Menschenrechten: Der Neue Europäische Grenz- und Küstenschutz

Am kommenden Mittwoch stimmt das Europäische Parlament über den europäischen Grenz- und Küstenschutz ab. Das Ziel ist mehr Macht für Frontex. Die EU-Grenzschutzagentur kann künftig Mitgliedstaaten zu mehr Grenzschutz zwingen. Mitgliedstaaten, die sich weigern, fliegen aus dem Schengenraum. Auch Auslandseinsätze außerhalb der EU gehören zu den neuen Befugnissen von Frontex. Selbst ein zukünftiger Einsatz in Libyen ist nicht ausgeschlossen. Die EU schottet sich damit weiter ab und wälzt ihre Verantwortung für Flüchtlinge auf Länder außerhalb Europas ab. Sie nimmt in Kauf, dass Menschenrechte und der Schutz von Flüchtlingen unter die Räder geraten. Die Europagrünen werden gegen die Verordnung stimmen.

Wir setzen uns stattdessen für ein Grenzmanagement in Europa ein, das menschenrechtskonform ist und den Schutz von Flüchtlingen befördert statt verhindert. Grenzkontrollen dürfen nicht dazu führen, dass Flüchtlingen der Zugang zum Schutz in Europa verweigert wird. Stattdessen müssen wir Schutzsuchende aus Seenot retten und dafür sorgen, dass sie ordentlich registriert und rasch an die zuständigen Asylbehörden weiterverwiesen werden. Der Zugang für Flüchtlinge nach Europa muss offen bleiben.

Das sind die Kernpunkte des neuen Europäischen Grenz- und Küstenschutzes:

(das Briefing gibt es auch als pdf online)

Einsätze wider Willen

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex bekommt erheblich mehr Macht gegenüber den Mitgliedstaaten. Frontex prüft systematisch, ob die Mitgliedstaaten ihre EU-Außengrenzen ordentlich kontrollieren und kann von Mitgliedstaaten verlangen, ihren Grenzschutz zu verstärken. Mitgliedstaaten, die sich weigern oder die keinen Frontex-Einsatz auf ihrem Staatsgebiet dulden wollen, droht der Rauswurf auf dem Schengenraum. Wie das Verfahren genau funktioniert, ist am Ende dieses Briefings beschrieben.

Das läuft darauf hinaus, dass ein Mitgliedstaat gezwungen werden kann, seine Grenzen auch gegen Flüchtlinge dichtzumachen. Mitgliedstaaten, die ihre Grenzen nicht ausreichend gegen „unkontrollierte Übertritte“ schützen, wird ein Frontex-Einsatz aufgezwungen. Dagegen müssen Mitgliedstaaten, die Zäune gegen Flüchtlinge errichten und sich weigern, ihrer Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen nachzukommen, keine vergleichbaren Konsequenzen fürchten. Dieses Ungleichgewicht führt in der Summe zu einer Politik der Abschottung.

Stärkung von Frontex

Damit Frontex schneller einsatzbereit ist, bekommt Frontex eine stehende Truppe von mindestens 1.500 Grenzschützer*innen sowie einen technischen Ausrüstungspool. Frontex hat keine eigenen Grenzbeamt*innen, sondern ist darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten entsprechendes Personal für Einsätze zur Verfügung stellen. 

Auslandseinsätze

Frontex kann jetzt auch in Nachbarländern der EU die Grenzen mitüberwachen. Als Nachbarländer gelten auch die nordafrikanischen Staaten. Selbst ein Einsatz in Libyen, ist deshalb nicht ausgeschlossen. Ein solcher Auslandseinsatz muss zwar auf einem Abkommen zwischen der EU und dem entsprechenden Drittland beruhen, in dem auch die Achtung der EU-Grundrechte geregelt ist. Aber das ist kein echter Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. Zum einen können die Mitgliedstaaten ein Abkommen umgehen: sie können Frontex auch direkt in ihre bilaterale Zusammenarbeit mit einem Drittstaat einbinden. Zum anderen hat Frontex keinerlei Handhabe dagegen, wenn bei einem Auslandseinsatz Menschenrechtsverletzungen durch Grenzschützer*innen des Drittstaats begangen werden. Denn die europäische Gerichtsbarkeit gilt in diesen Ländern nicht.

Menschenrechte und der Schutz von Flüchtlingen drohen damit die Räder zu geraten. Frontex wird zum Komplizen von Drittstaaten, die auf den Schutz von Flüchtlingen und die Rechte von Migranten unter Umständen nicht viel geben. Wir Grüne haben uns dafür eingesetzt, Auslandseinsätze von Frontex wenigstens auf EU-Nachbarländer zu beschränken, welche eine Landgrenze mit der EU teilen und die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention voll umgesetzt haben (also auf die Balkanstaaten). Damit konnten wir uns aber nicht durchsetzen.

Abschiebungen

Frontex wird zu einer Agentur für Abschiebungen. Frontex kann jetzt selbst die Initiative ergreifen für die Abschiebung von Menschen, die in der EU kein Bleiberecht haben. Bisher war das nur möglich auf Anfrage von Mitgliedstaaten. EU-Länder, die aus Sicht von Frontex zu lax abschieben, können dazu verpflichtet werden mehr Menschen abzuschieben oder müssen Abschiebungen durch Frontex akzeptieren. Frontex wird dafür entsprechend aufgerüstet. Es verfügt jetzt über ständige Pools von Zwangsrückführern, Rückführungsexperten und Rückführungsbeobachtern.

Kommission und Rat wollten, dass Frontex auch Abschiebungen aus dem Ausland durchführen darf, also etwa Abschiebungen von Pakistani aus Serbien oder der Türkei nach Pakistan. Das hat das Europäische Parlament, auch auf Druck von uns Grünen, in harten Verhandlungen mit dem Rat buchstäblich in letzter Sekunde verhindert. Drittstaaten sind nicht an europäisches Recht und die darin verankerten Schutz- und Verfahrensgarantien gebunden. Frontex wäre deshalb Gefahr gelaufen zum Handlanger für die Abschiebung von Flüchtlingen und Menschen zu werden, denen in ihrer Heimat Verfolgung oder ein Krieg droht. 

Seenotrettung: keine Stärkung

Wir Grüne haben uns gemeinsam mit den Sozialdemokraten und Liberalen im Europäischen Parlament dafür eingesetzt, dass die Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen und Migrant*innen mit zu den Kernaufgaben des europäischen Grenz- und Küstenschutzes gehört. Das hat der Rat abgeblockt. Frontex wird nicht zu mehr Seenotrettung verpflichtet. Obwohl Frontex jetzt eine Agentur für Grenz- und Küstenschutz ist, gehören Rettungsoperationen nicht zum Mandat. Frontex kann Menschen nach wie vor nur im Rahmen von Grenzüberwachungseinsätzen aus Seenot retten. Auch spezielle Seenotrettungsboote gehören weiterhin nicht zur Ausrüstung der EU-Grenzschützer.

Beschwerdemechanismus

Es ist ein echter Grüner Erfolg, dass Frontex jetzt einen Beschwerdemechanismus hat. Menschen, die sich von Grenzschützern bei einem Frontex-Einsatz in ihren Rechten verletzt fühlen, können dagegen bei Frontex Beschwerde einlegen. Frontex muss der Beschwerde nachgehen und dafür sorgen, dass entsprechende Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden. Der Beschwerdemechanismus geht auf einen Parlamentsbericht zurück, den Ska Keller gemeinsam mit der Abgeordneten der Europäischen Volkspartei, Roberta Metsola, verfasst hat.


Anhang: Das Verfahren für Einsätze wider Willen im Detail

1.    In einer jährlichen „Schwachstellenanalyse“ bewertet Frontex die Fähigkeit und Bereitschaft der Mitgliedstaaten, ihre Außengrenzen zu schützen.

2.    Frontex beschließt, welche Maßnahmen ein Mitgliedstaat ergreifen muss, der Schwächen bei der Grenzüberwachung hat. Diese Entscheidung ist für den Mitgliedstaat rechtlich bindend.

3.    Wenn ein Mitgliedstaat sich trotzdem weigert, die Maßnahmen durchzuführen, eskaliert Frontex den Fall an die EU-Kommission. Sie erarbeitet eine Vorlage für einen Beschluss des Rates, mit dem der Mitgliedstaat gezwungen wird seine Grenzüberwachung zu verstärken.

4.    Bei einem hohen Migrationsdruck, also wenn sehr viele Menschen in die EU kommen, kann der Rat einem Mitgliedstaat außerdem einen Frontex-Einsatz aufzwingen. Das kann auch ein gemeinsamer Einsatz in einem Land außerhalb der EU sein oder eine Massenabschiebung.

5.    Falls der Mitgliedstaat sich weigert, kann er vom Rat für bis zu zwei Jahre aus dem Schengenraum der Reisefreiheit ausgeschlossen werden. Die anderen Mitgliedstaaten führen dann an ihren Grenzen mit diesem Mitgliedstaat wieder Grenzkontrollen ein.


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