Europa

Bundesverfassungsgerichts -Urteil: EZB Weckruf für gemeinsame Fiskalpolitik der Euroländer

Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Anleihekaufprogramm (Public Sector Purchase Programme, PSPP) in seinem heutigen (Dienstag, 5. Mai) Urteil für kompetenzwidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht stellt sich gegen das vorausgegangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs und hält es für nicht nachvollziehbar, weil der Gerichtshof die wirtschaftlichen Auswirkungen des Programms in seiner Bewertung ausgeklammert und versäumt habe, die Verhältnismäßigkeit des Anleihekaufprogramms abzuwägen. Die Karlsruher Richterinnen und Richter verpflichten Bundesregierung und Bundestag, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken. Nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten darf die Bundesbank sich nur dann weiter am Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank beteiligen, wenn die EZB eine neue Entscheidung fällt und darin die Verhältnismäßigkeit des Programms darlegt. Das EZB-Programm PEPP zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise ist von dem Urteil ausdrücklich nicht betroffen.

Ska Keller, Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, kommentiert:

„Die Versäumnisse der Euroländer haben die Europäische Zentralbank in eine schwierige Lage gebracht. Die Regierungen dürfen nicht länger die Verantwortung für die Rettung der gemeinsamen Währung und Wirtschaft auf die EZB abschieben. Das Handeln der EZB liegt im Versäumnis der Euroländer begründet, eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik auf die Beine zu stellen. Die Lehre aus dem Urteil muss sein, dass die Regierungen der Eurozone die EZB nicht länger alleine lassen dürfen. Eine gemeinsame Fiskalpolitik kann die Geldpolitik entlasten.

Die Autorität des Europäischen Gerichtshofs in Frage zu stellen, sendet ein verheerendes Signal an alle EU-Regierungen, die sich lieber heute als morgen dessen Rechtsprechung entledigen wollen.“

Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, ergänzt:

„Der Richterspruch muss ein Weckruf für die Bundesregierung sein. Die Bundesregierung sollte einen Vorschlag für eine demokratisch legitimierte Fiskalpolitik der Euroländer vorlegen. Europapolitisch ist es brandgefährlich, dass die Bundesregierung eine gemeinsame, solidarische Fiskalpolitik blockiert und das Bundesverfassungsgericht die gemeinsame Geldpolitik einengt.

Gleichwohl sollte das Urteil nicht zu Schnellschüssen führen. Das Urteil bedeutet nicht, dass die Bundesbank ihre Beteiligung an den Anleihekäufen sofort beenden muss. Es ist wichtig, dass die Richterinnen und Richter keine monetäre Staatsfinanzierung festgestellt haben. Im Kern geht es dem Gericht um die Begründung der Geldpolitik. Jetzt braucht es einen proeuropäischen Impuls für die Fiskalpolitik der Eurozone.“

 

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