Handel und Globale Gerechtigkeit

SPEZIAL: InvestorInnenschutz über alles - Was hat Investitionsschutz mit Entwicklungsmöglichkeiten von ärmeren Ländern zu tun?

Es existieren heute zahlreiche internationale Freihandels- und Investitionsabkommen. Ihr Ziel ist es, Anreize für ausländische Direktinvestitionen (FDI) zu schaffen, indem sie einen gesetzlichen Rahmen festlegen, der den InvestorInnen einen besonderen Schutz und bedeutende Rechte gewährt. So erlauben es etwa die Vorschriften in zahlreichen so genannten bilateralen Investitionsschutzabkommen (BIT), dass InvestorInnen Staaten auf Schadenersatz verklagen können (Investor to State Klagen), wenn sie davon überzeugt sind, dass durch nationale Entscheidungen und Eingriffe ihre Investitionen und Profite gefährdet sind bzw. beeinträchtigt werden.

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Ausländische Direktinvestitionen - halten oft nicht, was sie versprechen

Den InvestorInnen werden diese weitreichenden Rechte gewährt, da man sich dadurch vermehrte FDIs erhofft und von diesen wiederum Wachstum und Entwicklung. Gerade in der Entwicklungspolitik fand in den 1990er Jahren ein Paradigmenwechsel statt - weg von staatlichen Hilfsgelderzahlungen, hin zu privaten Kapitalsflüssen in Form von FDIs. Allerdings belegen mehrere Studien mittlerweile, dass FDIs nicht immer vorteilhaft für die Entwicklung eines Landes sind. So kommt es etwa des Öfteren nicht zum viel beschworenen Technologietransfer, wenn Inseln geschaffen werden, die nichts mit der restlichen Wirtschaft des Landes zu tun haben. Oder wenn das neu angesiedelte Unternehmen lokale Betriebe verdrängt und somit eher zur Vernichtung als zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt. Zudem werden lokale Arbeitskräfte auch häufig ausgebeutet, sodass der erhoffte Wohlstandsgewinn für die Bevölkerung des Gastlandes nicht eintritt. Letztendlich profitieren von den FDIs in den meisten Fällen vordergründig die aus den Industriestaaten stammenden InvestorInnen. So auch aufgrund der Regelungen in den sogenannten bilateralen Investitionsschutzabkommen (BIT), die einseitig die Rechte der ausländischen Unternehmen gegenüber dem Gastland stärken und ihnen so gut wie keine Pflichten auferlegen, weshalb sich InvestorInnen häufig nicht an international geltende Umwelt- und Arbeitsschutzstandards halten.

Bilaterale Investitionsschutzabkommen - stark reformbedüftig

Weltweit wurden bisher über 3.000 BITs zwischen 180 Staaten abgeschlossen - 42% davon zwischen Industriestaaten und so genannten Entwicklungsländern. In der EU hatten bisher die einzelnen Mitgliedsstaaten eigenständig solche Verträge mit Drittstaaten abgeschlossen (es existieren über 1.200). Seit dem Inkrafttreten des Lissabonvertrages liegt die Kompetenz dazu allerdings bei der EU. Das heißt, für die konkrete inhaltliche Ausgestaltung solcher Verträge sind nun die Kommission, gemeinsam mit Parlament und Rat zuständig.

Die EU-Kommission versucht gerade recht vehement, solche Investitionsschutz-Klauseln in die neu verhandelten Abkommen zu integrieren (aktuell liegen auf dem Verhandlungstisch Freihandelsabkommen mit Singapur, Kanada und Indien). Wir Grüne stehen dem sehr kritisch gegenüber, da sie einseitig InvestorInnen begünstigen und somit das existierende Machtungleichgewicht zwischen den ärmeren Ländern des globalen Südens auf der einen Seite und multinationaler Konzerne auf der anderen Seite noch verstärken.

Vor allem finden wir die in den Abkommen verankerte Klagemöglichkeit von InvestorInnen gegen Staaten vor internationalen Schiedsgerichtsgerichten problematisch, denn sie führt dazu, dass Staaten auf Schadensersatz verurteilt werden können, weil etwa ihre Umwelt- oder Sozialgesetzgebung negative Auswirkungen auf die Gewinne der Unternehmen haben könnte. Das führt gerade in ärmeren Ländern dazu, dass sie aufgrund der möglichen Schadensersatzklage wichtige, dem Gemeinwohl dienende Gesetze nicht erlassen. Das Interesse und Wohl ausländischer InvestorInnen steht somit über dem der Bevölkerung des jeweiligen Gastlandes.

Schiedsgerichtsverfahren gegen Staaten müssen abgeschafft werden

Viele der bisherigen BITs wurden nach einem OECD-Musterabkommen abgeschlossen, welches unserer Meinung nach viele Mängel aufweist, da es die ökonomischen Wirkungen in den Gastländern vernachlässigt. So sind etwa festgeschriebenen Schutzstandards für InvestorInnen meist sehr vage formuliert. Das führt dazu, dass der Auslegungsspielraum, den die Schiedsgerichte haben, sehr groß ist und die Entscheidung häufig zugunsten der Unternehmen fällt. Ein Beispiel hierfür liefern Enteignungsregeln in Investitionsabkommen, die eine Sozialbindung des Eigentums nicht kennen. Das hat zur Folge, dass Politikmaßnahmen im öffentlichen Interesse als schleichende Enteignung interpretiert werden können. Nach welchen Maßstäben in Schiedsgerichten entschieden wird, ist nicht sehr nachvollziehbar, da die Entscheidungen sehr intransparent getroffen werden - auch etwas, das wir Grüne bemängeln. Darüber hinaus hat ein Staat nach einem getroffenen Urteil eines Schiedsgerichtes bisher keine Möglichkeit auf Berufung. Das Urteil ist also unanfechtbar, auch wenn der Sachverhalt an sich sehr strittig ist und ein anderes Schiedsgericht vielleicht zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen wäre.

Gerade ärmere Staaten sind in diesen Gerichtsverfahren benachteiligt, da mächtige und kapitalträchtige Konzerne meist über bessere Anwälte verfügen und bei Prozessen keine Kosten und Mühen scheuen. Wie eine Studie zeigt, leiden aber auch Länder des Globalen Nordens darunter: Unternehmen kriegen häufig Recht in ihren Klagen gegen "indirekte Enteignung" - ihnen entgingen Profite durch z.B. neue Umweltregulationen wie dem Verbot von Fracking.

An vielen Fronten regt sich Widerstand

In vielen Ländern Lateinamerikas und Afrikas regt sich bereits Widerstand gegen die als einseitig empfundenen Investitionsabkommen. So sprach sich etwa kürzlich Indien gegen die Klagerechte von InvestorInnen bei Schiedsgerichtsverfahren aus.

Aber auch Industriestaaten wie die USA, Kanada und Australien haben Veränderungen im Umgang mit internationalen Investitionsschutzabkommen beschlossen (unter anderem in Bezug auf Transparenz, Begriffdefinierung und Streitschlichtungsverfahren).

Die EU-Kommission versucht allerdings weiterhin hartnäckig die Möglichkeit einer Investor-Staats-Schiedsgerichtsklage in Freihandelsabkommen zu verankern - sogar im gerade verhandelten Abkommen mit Kanada - ein Land mit einem sehr ähnlichen Rechtssystem wie der EU. Im Parlament erheben sich fraktionsübergreifend Stimmen dagegen. Zusammen mit anderen KollegInnen aus dem Handelsausschuss (INTA) haben wir der Kommission dazu einige Fragen gestellt:

Zunächst wollten wir wissen, ob der gerichtsähnliche Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) nicht dem Artikel 9 des Vertrags der Europäischen Union (EUV) widerspricht, da dieser besagt, dass die Union „die Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger [achtet], denen ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit seitens der Organe [...] zuteil wird" - den InvestorInnen wird mit dem ISDS allerdings eindeutig mehr "Aufmerksamkeit" gewidmet. Nachzulesen hier.

Des Weiteren haben wir die Kommission gefragt, warum sie nicht auf ihre eigenen Sachverständigen hört, die in einer Studie zur Nachhaltigkeit von CETA feststellt, dass der Mechanismus zur zwischenstaatlichen Streitbeilegung ein angemesseneres Umsetzungsinstrument im Rahmen des CETA darstellt als die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat - also genau unsere Position bestätigt. Die Antwort der Kommission ist eher ausweichend. Sie wiederholt darin nur abermals, dass ISDS für den Schutz der InvestorInnen geeigneter sei. Nachzulesen hier.

Doch nicht nur die Nachhaltigkeitsstudie wirft Zweifel an der Sinnhaftigkeit von ISDS beim Abkommen mit Kanada auf, sondern auch eine weitere Aussage eines Kommissionsvertreter. Ihm Zufolge habe die Aufname von ISDS weniger einen "wirtschaftlichen Wert", sondern vielmehr einen "politischen". Wir fragten die Kommission daraufhin, wie es sein kann, ein Kapitel in ein Handelsabkommen aufzunehmen, dessen wirtschaftlicher Effekt begrenzt ist, und was denn genau unter "politischer Wert" zu verstehen ist. Nachzulesen hier.

Unsere letzte Anfrage bezieht sich auf die Antwort der vorherigen Frage. Die Kommission begründet darin das ISDS im CETA damit, dass es in Kanada in den letzten Jahren Fälle gegeben habe, bei denen InvestorInnen enteignet worden seien. Konkreter geht die sie auf diese Fälle jedoch nicht ein, weshalb wir nun wissen wollen, worum es genau ging und wer die beteiligten Akteure waren.

EU-Regelung über die finanzielle Zuständigkeit bei Verurteilung

Auf Initiative des Europaparlaments hat die Kommission einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, der die finanzielle Zuständigkeit zwischen EU und Mitgliedsstaaten klären soll, wenn diese von InvestorInnen vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt werden. Mit dem Lissabonner Vertrag hat die EU die Kompetenz für Investitionen erhalten. Bei einer ersten Aussprache, die im Dezember im Handelsausschuss statt fand, wurde deutlich, dass die Mitgliedsstaaten nur schwer dazu bereit sind, die EU-Kompetenz für diesen Bereich anzuerkennen. Bei dieser zweiten Aussprache haben wir Grüne die Debatte auf eine generelle Kritik am Mechanismus zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten gelenkt und viele Mitglieder schlossen sich unserer Kritik an. Zwar geht es bei der Richtlinie letztlich nicht um die Grundsatzfrage über die Legitimität dieser Schiedsgerichtsklagen, aber sie bietet die Möglichkeit und einen Anlass, im Parlament Diskussionen zu führen und der Kommission die Kritikpunkte wie die Priorisierung von ausländischen InvestorInnen über Umwelt- und Sozialgesetzgebung darzulegen.

Hier findet sich der Vorschlag der Kommission.

Wer verdient an der Möglichkeit der Staatenklage vor Schiedsgerichten?

Hier eine Studie, die aufdeckt, wie ein kleiner elitärer Klub von Rechtsanwaltskanzleien, SchiedsrichterInnen und Finanzspekulanten davon profitiert, wenn InvestorInnen Staaten vor internationalen Schiedsgerichten verklagen und dadurch letztendlich sinnvolle Gesetzgebung im Interesse des Allgemeinwohls verhindert wird.